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Ö1 zum 10. Todestag von Elfriede Gerstl: „ich weiß nicht wer da spricht“

Am 9. April jährt sich der Todestag von Elfriede Gerstl zum zehnten Mal. Aus diesem Anlass stehen drei Ö1-Sendungen ganz im Zeichen der der österreichischen Schriftstellerin: In den „Tonspuren“ (2.4.) erinnern sich u. a. Elfriede Jelinek, Herbert J. Wimmer und Gerstls Tochter Judith Bisinger-Brus an die Autorin, in „Du holde Kunst“ (7.4.) liest Sona MacDonald Gedichte von Gerstl und „Radiokunst-Kunstradio“ (7.4.) bringt die Premiere des Stücks „GEH DICHT DICHTIG. Ein lautpoetischer Dialog mit Elfriede Gerstl“ von Johanna Ruth Benrath.
Am Dienstag, den 2. April erinnern sich in den „Tonspuren“ (Ö1, 16.00 Uhr) u. a. Elfriede Jelinek, Herbert J. Wimmer und Elfriede Gerstls Tochter Judith Bisinger-Brus an eine streitbare Dichterin. „Sie war eigensinnig und eigenständig. Was sie geschrieben hat, war immer sehr fein gedacht und spitz gesagt, aber es waren nie Schläge. Während ich das 12-Kilo-Fäustl nehm‘ und dann einfach dreinschlage. Also von unserem Erzähltemperament könnten wir nicht unterschiedlicher sein.“, so Elfriede Jelinek. „Gazelle kam aus Wien“ tituliert ein Kritiker 1964 in der Berliner Morgenpost und beschreibt so die knapp 30-jährige Elfriede Gerstl, die in Berlin aus ihren Prosa-Arbeiten vorliest. Mit einer Stimme, die in den Ohren des Kritikers „sanft, liebenswürdig, weiblich“ klingt und ganz im Gegensatz zu ihren vorgetragenen Texten stehe; diese nämlich seien „ironisch, boshaft, beinahe männlich“. Wie immer man zu den damals attestierten Eigenschaften stehen mag, Gegensätze haben Elfriede Gerstls Leben und Werk geprägt. Geboren als Tochter eines jüdischen Zahnarztes in Wien in großbürgerlichem Ambiente, hat sie die Zeit des Nationalsozialismus in wechselnden Verstecken verbracht – und überlebt. Sie ist 13 Jahre alt, als sie 1945 „vereinsamt, verschüchtert“ (E. Gerstl) und verarmt erstmals die Schule besuchen darf. Das Kommunizieren hat sie fast gänzlich verlernt. Über ihre Kriegserfahrung hat sie selten gesprochen, und noch viel seltener hat sie darüber geschrieben. Ihre Gedichte und Prosaskizzen zeichnen Ironie und Beiläufigkeit aus, große Gesten waren ihr fremd. So wie ihren Texten hätte man auch ihrer altmodisch-eleganten Erscheinung die Entbehrungen auf den ersten Blick nicht angesehen. „Die Gerstl ist eine unserer Besten, doch zu filigran, um populär zu sein“, schrieb Wendelin Schmidt-Dengler über die Tatsache, dass der Autorin erst sehr spät literarische Anerkennung zuteil wurde.
„ich weiß nicht wer da spricht“, so der Titel von „Du holde Kunst“ am Sonntag, den 7. April ab 8.15 Uhr in Ö1. Sona MacDonald liest Gedichte von Elfriede Gerstl aus den Sammlungen „Neue Wiener Mischung“, „Vor der Ankunft“, „Unter einem Hut“ und „Alle Tage Gedichte“. Im Werk der lange unterschätzten Elfriede Gerstl finden sich der desillusionierte Witz Nestroys, die Sprachskepsis der Wiener Moderne und der Avantgardismus der Wiener Gruppe – all das aber in einer höchst individuellen, keiner ästhetischen Doktrin unterworfenen Spielart. Mit ihrem „Tandeln“ hob sie den ideellen Wert von Kleidung, Schuhen und Hüten aus vergangenen Jahrzehnten, mit ihrer Dichtung den Gebrauchswert lyrischen Sprechens. Jargons, Alltagsausdrücke, Modewörter kommen genauso zum Einsatz wie Begriffe aus der Philosophie. Denn: „gedichte dürfen ruhig auch gescheit sein – sie sollen aber auch einen duft transportieren – nach narzissen oder auch camembert – und eine bewegung imitieren – mal wie ein schaukelstuhl – mal wie ein schwalbenflug“.
In „Ö1 Kunstsonntag: Radiokunst – Kunstradio“ am 7. April um 23.00 Uhr feiert Johanna Ruth Benraths Stück „GEH DICHT DICHTIG. Ein lautpoetischer Dialog mit Elfriede Gerstl“ Premiere, in dem die in Berlin lebende Autorin in einen fiktiven Dialog mit der von ihr verehrten Wiener Dichterin Elfriede Gerstl tritt. Gerstl verfasste Gedichte, Essays, kurze Prosastücke und „Denkkrümel“, wie sie selbst einige ihrer Texte nannte. 1980 betrachtete sie in ihrem Essay „Aus der Not ein Hörspiel machen, zur Not ein Hörspiel hören“ die Chance des Hörspiels im Verursachen von „Denkanstößen“. Diesen Gedanken nimmt „GEH DICHT DICHTIG! Ein lautpoetischer Dialog mit Elfriede Gerstl“ von Ruth Johanna Benrath auf, indem Benrath auf Gerstl „Denkkrümel“ mit ihren eigenen Texten antwortet. Die akustische Umsetzung bildet den Verlauf dieses Dialogs nach: Es ist zunächst die Stimme der Autorin Ruth Johanna Benrath (gespielt von Dörte Lyssewski), die sich bei Elfriede Gerstl bewirbt mit einem literarischen Text. Gerstls Stimme (gespielt von Gerti Drassl) reagiert abwartend, weiß nicht, ob sie sich einlassen will auf das Spielangebot. Erst als die musikalische Stimme der Sängerin Lauren Newton hinzutritt, springt die Kreativität über. Aus literarischem Geplänkel erwächst ein Verfahren, in dem Gerstl und Benrath ihre unterschiedlichen Auffassungen vom literarischen Schreiben aneinander reiben, und schließlich in fantasievollen Sprachwitz überführen. Manchmal kommen die beiden nicht weiter, dann versuchen sie sich an einem Roman, oder umkreisen sprachlich den ORF-Werbespruch „Schöner hören“. Als die ältere Gerstl schließlich müde wird, macht die jüngere Benrath ihr ein Sprachbett. So steht am Ende des sprachmusikalischen Stückes der Traum vom Luft in der Luft sein, in den Elfriede Gerstl entschwinden kann. Lauren Newton trägt mit ihren Klangflächen und Sprachspielen diesen Dialog zweier Autorinnen, die sich im realen Leben nie begegnet sind, jedoch auf sprachlicher Ebene einander tief durchdringen. Regie führte Christine Nagel.

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